dpa-Interview: Wolf von Dewitz sprach mit Bernd Lange

Die EU-Kommission will die Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Energiepolitik trimmen. Doch eine neue Richtlinie setzt nur auf Freiwilligkeit. Ein EU-Abgeordneter hält sie deshalb für nutzlos - und wirft Staaten wie Deutschland eine Blockadehaltung vor.

Brüssel/Straßburg (dpa Insight) - Die EU hat erstmals ein offizielles Regelwerk für eine gemeinsame Energieaußenpolitik. Doch die neue Richtlinie ist umstritten, wie das Abstimmungsergebnis im EU-Parlaments vom 13. September mit 369 Ja- und 240 Nein-Stimmen andeutet. Der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange hält die Richtlinie für «ungenügend». Denn die neuen Regeln basierten auf Freiwilligkeit, obgleich mehr Pflichten für EU-Staaten nötig gewesen wären, sagte er im Interview mit dpa Insight EU. Schuld daran sei der EU-Ministerrat, der in den Verhandlungen auf Blockade gesetzt habe. Die Richtlinie muss noch formal vom Rat angenommen werden.

dpa: Herr Lange, im Ringen um eine gemeinsame europäische Energieaußenpolitik liegt nun eine EU-Richtlinie vor. Das klingt nach einer guten Nachricht.
Lange: «Der Ansatz war gut. Wenn wir einen gemeinsamen EU-Binnenmarkt haben, wenn wir eine Energiewende schaffen wollen, dann ist es auch notwendig, dass man die Energieverträge, die es mit Drittstaaten gibt, gemeinschaftlich gestaltet.
Das war auch der Ansatz, der sich im Laufe der (Trilog-)Verhandlungen aber nicht erfüllt hat. Mitgliedstaaten haben sich mit Händen und Füßen gewehrt, einer Vergemeinschaftung der Energieaußenpolitik zuzustimmen. Das ist natürlich ein eklatanter Widerspruch zu den Sonntagsreden, in denen mehr Europa in mehr Kernfeldern gefordert wird. Deswegen bin ich ziemlich enttäuscht über die Haltung der Mitgliedstaaten.»
dpa: Mitgliedstaaten wie Deutschland?
Lange: «Ja, auch Deutschland.»
dpa: Welche Teile der Richtlinie sind denn aus Ihrer Sicht zu schwach ausgefallen?
Lange: «Im Grunde alles, das Ergebnis ist ungenügend. Nehmen Sie zum Beispiel die Informationspflicht (die ursprünglich von Kommission und EU-Parlament vorgesehen worden war; die Redaktion). Wenn ein Mitgliedstaat mit einem Drittstatt einen Vertrag schließen will, gehört es sich eigentlich, dass man verpflichtend die EU-Kommission informiert. Dann die Frage, ob die Kommission an den Verhandlungen beteiligt ist, und zum dritten ob die Verträge vor der Unterzeichnung auf ihre Stimmigkeit mit der europäischen Energiepolitik, aber auch auf ihre
rechtlichen Grundlagen überprüft werden. All das ist nicht in die Gesetzgebung aufgenommen worden.
Es heißt jetzt nur noch, dass Mitgliedstaaten die Kommission informieren können, wenn sie es wollen, und wenn Mitgliedstaaten es wollen, darf der Staat auch die Kommission zur Teilnahme einladen. Das ist im Grunde der Ist-Zustand, der nur noch mal kodifziert wurde.»
dpa: Sie sind der Ansicht, dass die unverbindlichen Vorgaben nicht dazu führen werden, dass die EU-Kommission von den Mitgliedstaaten verstärkt ins Boot geholt wird?
Lange: «Genau. Wichtig ist hier auch die Frage der Prüfung - dass die Kommission überhaupt gar keine Möglichkeiten hat, zu überprüfen ob der Vertrag konform ist mit dem "Acquis communautaire" (Gesamtheit des EU-Rechts; die Redaktion) und der energiepolitischen Strategie. Dieser Absatz ist völlig rausgefallen.»
dpa: Wie kam es dazu, dass die Richtlinie so abgeschwächt wurde?
Lange: «Ich glaube, da war auch ziemlich viel Druck im Kessel durch Energiekonzerne im Ausland, die eine Vergemeinschaftung auch nicht unbedingt wollten. Für große Gaslieferanten ist es mit Blick auf die Konditionen besser, mit EU-Staaten einzeln Verträge zu schließen, als wenn mit die EU als ganzes vor sich hat. Hier ist es kein Geheimnis, dass Gazprom ein großer Player ist. Der Ministerrat hat sich zudem unglaublich verhalten. Da war (im Trilog) überhaupt keine Bereitschaft, zu verhandeln. Von vornherein hat der Rat formuliert, wir nehmen nur diese Light-Version an oder gar nichts. Und das mit einer erpresserischen Art und Weise. Wenn man verhandelt, muss man bereit sein, sich irgendwo in der Mitte zu treffen, aber nicht, dass der eine Verhandlungspartner 99 Prozent bekommt und der andere ein Prozent. Dieses wenig konstruktive Verhalten ging vor allem von großen Mitgliedstaaten aus.»
dpa: Die Richtlinie fällt bei Ihnen komplett durch - oder sehen Sie doch etwas Positives?
Lange: «Das einzig Positive ist, dass die Kommission nach zwei Jahren die Erfahrungen sammelt und dann gegebenenfalls einen neuen Vorschlag macht. So wie ich Kommissar Oettinger verstanden habe, wird dies auch sehr intensiv genutzt werden. Ich gehe fest davon aus, dass die Kommission dann einen neuen Anlauf machen
wird.»
dpa: Neu ist der Informationsmechanismus, mit dem die EU-Kommission mehr Transparenz in das Dickicht der EU-Energieverträge bringen will.
Lange: «Aber das beruht alles auf Freiwilligkeit. Vielleicht kann man sagen, dass es jetzt die ersten institutionalisierten Strukturen gewinnt. Aber substanziell ist da kein Gewinn.»
dpa: Die von Ihnen gewünschte strengere Einbeziehung Brüssels in bilaterale Energieverhandlungen bedeutet auch eine Kompetenzverlagerung von den Mitgliedstaaten hin zu Kommission. Ist die Skepsis von manchen Staaten nicht verständlich?
Lange: «Energiepolitik ist eine der ganz großen europäischen Herausforderungen. Wir müssen die Abhängigkeit von fossilen Stoffen deutlich reduzieren und wir müssen eine Versorgungssicherheit für die europäische Industrie sicherstellen. Deshalb bin ich fest davon überzeugt, Energiepolitik ist eine strategische Aufgabe der Europäischen Union. Da wird man auch mehr Kompetenzen auf Europa übertragen müssen.»
dpa: Ist diese schwache Richtlinie für eine gemeinsame EU-Energiepolitik eine gute Nachricht für Russland oder Saudi-Arabien, weil die EU in Energiefragen auch künftig nicht geschlossen auftreten wird und manche EU-Staaten einzeln eine eher schwache Verhandlungsposition haben?
Lange: «Die Nachricht ist zunächst, dass sich der Tanker Europa langsam bewegt. Und dass diese Länder (Russland oder Saudi-Arabien) ein bisschen mehr Zeit haben, ihre Politik fortzusetzen. Aber letztlich ist die gemeinsame europäische Energiepolitik schon jetzt am Horizont absehbar.»
: dpa
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