Beschluss des SPD-Landesparteirats am 19.7.2014

Seit Juli 2013 finden Verhandlungen zwischen der EU und den USA mit Ziel statt, ein Handelsabkommen (TTIP – Transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen) abzuschließen.

In der Öffentlichkeit hat sich eine breite Diskussion entwickelt, in der Sorgen und Befürchtungen sehr deutlich formuliert werden. Viele Bürger_innen haben den Eindruck, dass die Verhandlungen einseitig gegen die Interessen der Bürger_innen und im Wesentlichen zugunsten von wirtschaftlich mächtigen Interessen ausgerichtet sind, neo-liberale Wirtschaftsvorstellungen vorherrschen und dadurch soziale Rechte und gute Standards in Frage gestellt werden. Auf der anderen Seite kann aber ein gutes und faires Abkommen auch zur Verbesserung der sozialen Standards beitragen und Arbeitsplätze gerade in Niedersachsen stärken. Dies muss sorgfältig geprüft werden. Das kann aber nur geschehen, wenn offen und breit darüber diskutiert wird. Es ist erfreulich, dass die wichtige Handelspolitik der EU nun intensiver auf den öffentlichen Prüfstand kommt. Deswegen ist für die SPD eine breite innerparteiliche und öffentliche Diskussion zentral und sie wird diese begleiten und mit gestalten.

Die SPD nimmt die Befürchtungen zum möglichen Abkommen sehr ernst und nimmt klar Stellung:

Die SPD tritt auf allen Ebenen für ein größtmögliches Maß an Transparenz in den Verhandlungen ein. Nur so kann eine sachgerechte Diskussion geführt werden. Das Verhandlungsmandat und die fundamentalen Verhandlungstexte müssen daher öffentlich sein. Der Widerstand dagegen aus den USA und auch aus dem Ministerrat der 28 Regierungen ist nicht akzeptabel. Das werden wir nicht hinnehmen.

Die SPD wird ein TTIP-Abkommen nicht akzeptieren, wenn es zu einer Absenkung der europäischen und deutschen Standards z. B. in den Bereichen Verbraucherschutz, Lebensmittelsicherheit, Umwelt- und Klimaschutz und Datenschutz führt. Die hohen sozialen Standards in Deutschland und Europa dürfen nicht angetastet werden. Kulturelle Vielfalt in der EU und der Erhalt der öffentlichen Daseinsvorsorge sind nicht verhandelbar.

Ebenso wäre für die SPD nicht akzeptabel, dass die Gesetzgebungshoheit in Deutschland oder der EU durch ein TTIP-Abkommen eingeschränkt würde. Die Einrichtung von Regulierungsausschüssen, die nach Abschluss der Verhandlungen in sogen. „nachgelagerten Verfahren“ weiter Regulierungsfragen verhandeln und Vereinbarungen treffen, lehnt die SPD ab, da dadurch die demokratische Kontrolle des Parlaments ausgehöhlt würde.

Ein Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus (ISDS), der es Investoren bei der vermeintlichen Verletzung ihrer Investorenrechte ermöglichen würde, Staaten vor internationalen Schiedsstellen außerhalb nationaler Rechtssysteme direkt auf Schadensersatz angeblich entgangener Gewinne aufgrund staatlichen Handelns, z.B. durch neue Umweltgesetze, zu verklagen, lehnt die SPD ab. ISDS ist zwischen entwickelten Rechtsstaaten nicht notwendig. Demokratisch herbeigeführte Entscheidungen für das Allgemeinwohl dürfen nicht in Frage gestellt werden.

Für die SPD muss in einem Abkommen Arbeitnehmerrechten ein besonderer Stellenwert zukommen. Fairer Handel kann sich nur unter fairen Bedingungen vollziehen und nicht Lohn- und Sozialdumping fördern. Deswegen kann es kein TTIP ohne ein ehrgeiziges Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung mit den USA geben, das ein hohes Niveau bei Arbeit- und Umweltschutz auf beiden Seiten des Atlantiks sichert. So haben die USA immer noch nicht die zentralen Kernarbeitsnormen der ILO ratifiziert und umgesetzt. Hier muss nachgebessert werden.

In einem guten Abkommen können Chancen für europäische Unternehmen und den Arbeitnehmer_innen liegen. Mit dem Abkommen kann ein Beitrag zur Reindustrialisierung Europas geleistet werden und es können sich Dienstleistungen weiter entwickeln. Dazu müssen aber die Bedingungen von „Guter Arbeit“ gesichert sein, u.a. die Anerkennung von Tarifverträgen und die gleiche Entlohnung für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Dafür streitet die SPD. Das Abkommen sollte zudem verbindliche gemeinsame Regeln zur Regulierung der Finanzmärkte enthalten, einschließlich der Regulierung von Finanzdienstleistungen und Finanzmarktprodukten.

Kräfte, die von vornherein aus poltisch-taktischen Gründen jede Verhandlungen ablehnen, ohne auf den Inhalt Einfluss zu nehmen oder konservative Kräfte, die prinzipiell aus geopolitischen Gründen zustimmen wollen, ohne den zukünftigen Inhalt überhaupt zu bewerten, gehen nicht seriös mit den Verhandlungen um. Wir Sozialdemokrat_innen loten Chancen und Probleme aus und knüpfen daran die Entscheidung. Über ein Abkommen entscheidet das Europäische Parlament. Dass Sozialdemokrat_innen im Europäischen Parlament ihr Recht, bei Handelsabkommen auch Nein zu sagen, sehr ernst nehmen, hat die von ihnen geführte Ablehnung des ACTA-Abkommens gezeigt, dem das Europäische Parlament wegen inhaltlicher Schwächen und Webfehler seine Zustimmung verweigerte und es damit scheitern ließ.

Bisher haben die Verhandlungen kaum Fortschritte gemacht. Es gibt noch keinen Text oder Festlegungen. Der bisherige Stand der Verhandlungen ist ernüchternd. Die wichtigen Punkte Zölle, Standards, Verfahren zur Standardsetzung und Produktzulassung sowie öffentliche Beschaffung scheinen kaum zu gemeinsamen Ergebnissen zu führen. In vielen Bereichen haben die US-Unterhändler sich überhaupt nicht bewegt bzw. völlig unzureichende Angebote vorgelegt. Die USA müssen sich bezüglich der europäischen Vorstellungen und dem europäischen Modell des Sozialstaates und der Teilhabe deutlich flexibler zeigen, damit die Verhandlungen nicht scheitern. Wir Sozialdemokrat_innen werden nach der Einrichtung einer neuen EU-Kommission und den Kongresswahlen in den USA im November eine kritische Bewertung der Verhandlungen vornehmen und über das weitere Vorgehen entscheiden.

Weiter fortgeschritten sind die Verhandlungen der EU mit Kanada über ein ähnliches Handelsabkommen (CETA – Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen), dies gilt ebenfalls für die Verhandlungen zum TISA-Abkommen. Natürlich wird die SPD hier die gleichen klaren Anforderungen stellen, wie bei den Verhandlungen mit den USA.

Der NSA-Skandal hat das Vertrauen zu dem Handelspartner USA nachhaltig beeinträchtig. Eine Vorbedingung für den Abschluss eines Handelsabkommens mit den USA ist eine Vereinbarung gesonderter Art, die den Datenschutz sichert und die ungezügelten Aktivitäten der Geheimdienste beendet. Der rechtliche Status der persönlichen Daten und der Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Datenspionage in der EU und den USA ist zu garantieren.

Begründung:

Die USA sind ein großer Absatzmarkt für niedersächsische Produkte. 2012 lag der niedersächsische Export in die USA bei 6,1 Milliarden Euro (Importe im Wert von 2,7 Milliarden Euro). Ein Drittel der Exporte entfällt auf Autos (26,2 Prozent) und Fahrzeugteile und ein weiteres Fünftel auf Wasserfahrzeuge. Bei den Ausfuhrzielen sind die USA nach den Niederlanden das zweitwichtigste Ziel-Land für Niedersachsen. Und etwa 170 niedersächsische Unternehmen haben eine Niederlassung in den USA, umgekehrt sind es etwa 130. Der Abbau von Zöllen würde deutliche Kosteneinsparungen mit sich bringen und Exportmöglichkeiten erhöhen. Die Abschaffung von bestehenden US-Handelshemmnissen für europäische Produkte und Dienstleister und der verbesserte Zugang zum US-Markt für öffentliche Beschaffung können neue Absatzmärkte schaffen. Durch Vereinbarungen zu technischen Standards können doppelte Zulassungsverfahren und aufwändige Einfuhrformalitäten vermieden werden, wodurch vor allem KMUs unnötige Kosten einsparen würden. In einer globalisierten Wirtschaft könnten mit dem Abkommen weltweit gute Regeln und hohe Standards gesetzt und unser europäisches Sozialmodell verankert werden. Ein Handelsabkommen zwischen der EU und den USA kann auch Chancen bieten, um einer globalisierten Wirtschaft stärker Spielregeln zu geben.

Den Handel ergänzende Vorschriften in einem Handelsabkommen betreffen die Sozial- und Umweltstandards. TTIP kann die Chance bieten, die Arbeitnehmerrechte in den USA zu stärken. Die grundlegenden ILO-Standards hinsichtlich der Vereinigungsfreiheit, der Anerkennung von Gewerkschaften und der Schaffung von Betriebsräten müssen dabei als Orientierung dienen und im Abkommen verankert werden. Der Gouverneur von Tennessee und andere haben im Gegenteil versucht, mit Macht die Einrichtung eines Betriebsrates im VW-Werk in Chattanooga zu verhindern. Das Abkommen kann eine Möglichkeit sein, die Abwärtsspirale bei Lohn- und Arbeitsstandards unter Rechtfertigung der angeblichen Wettbewerbssituation zu durchbrechen. Diese Chance wird auch von den US-amerikanischen Gewerkschaften gesehen, die sich deshalb – genau wie die Demokraten im US-Kongress – zum ersten Mal nicht prinzipiell gegen ein Handelsabkommen positionieren.

Durch die Geheimhaltung der Verhandlungen entstehen viele Gerüchte und Befürchtungen. Die Sorgen und Befürchtungen müssen ernst genommen werden. Für anhaltendes Misstrauen sorgt zudem weiterhin die Weigerung, Dokumente zum Verhandlungsstand der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Um die Zustimmung zu der EU und den Zusammenhalt der europäischen Staaten nicht zu gefährden, muss die Öffentlichkeit der Verhandlungen hergestellt werden. Nur damit kann das notwendige Vertrauen der europäischen Bürger_innen in die demokratischen Institutionen der EU erhalten werden.
In den Verhandlungen über ein Handelsabkommen müssen natürlich unsere Interessen gesichert bleiben. Die in der EU geltenden Arbeitnehmerrechte, Verbraucherschutz-, Lebensmittel-, Umwelt- und Gesundheitsschutzvorschriften dürfen nicht in Frage gestellt werden. Unser Sozialmodell mit öffentlich garantierter kultureller Vielfalt und öffentlich organisierter Daseinsvorsorge darf ebenfalls nicht in Frage gestellt werden. Im Gegenteil, unsere europäischen Traditionen und Werte sind leitend für die Verhandlungen.

Der besonders kritische Punkt im TTIP-Verhandlungsprozess ist die Frage des Investitionsschutzes. Offenbar wollen US-Verhandler und die Europäische Kommission hier einen sogenannten Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus (ISDS) vereinbaren. Dies würde es Investoren ermöglichen, die EU oder Mitgliedstaaten jenseits vom normalen juristischen Verfahren vor internationalen Schiedsgerichten direkt auf Entschädigung für entgangene Gewinne zu verklagen. Diese Schiedsgerichte sind höchst intransparent. So würde es privaten Investoren ermöglicht, gegen von souveränen Staaten erlassene Gesetzgebung auch in den wichtigen Bereichen Gesundheit, Umwelt oder Verbraucherschutz vorzugehen. Das Beispiel von Vattenfall mit dem Versuch einer Klage gegen Deutschland auf über 3 Milliarden Euro Schadenersatz im Rahmen des Atomausstiegs sollte warnendes Beispiel sein. Oft reicht aber auch allein die Androhung einer Klage, um Gesetzgebung zu verhindern oder zu verwässern. Zudem besteht die Gefahr, dass Investoren aus den USA, die in der EU tätig sind, auf diesem Wege größere Rechte eingeräumt werden, als sie europäischen Unternehmen gewährt sind. Ein Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus zwischen Staaten mit zuverlässigen und entwickelten Rechtssystemen wie im Falle von TTIP ist aus Sicht der SPD deshalb abzulehnen. Australien hat in einem bilateralen Handelsabkommen mit den USA dem Verlangen nach einem solchen Mechanismus eine Absage erteilt. Dies sollte als Vorbild dienen. Offensichtlich ist sich die EU-Kommission ihrer Sache auch selbst nicht mehr so sicher und hat den ISDS-Teil der Verhandlungen ausgesetzt, um eine öffentliche Konsultation durchzuführen. Über 100.000 Eingaben sind ein deutliches Zeichen für die Problematik dieses Instrumentes.