Friedrich-Ebert-Stiftung Landesbüro Niedersachsen. Die Europawahlen stehen vor der Tür und die etablierten politischen Kräfte vor einem Desaster. Allen voran die Sozialdemokratie. Sie tut sich mit Europa besonders schwer. Dabei ist ein sozialer und demokratischer Kurswechsel das Einzige, was die europäische Gemeinschaft retten kann. Dazu hat die Friedrich-Ebert-Stiftung ein Interview mit Bernd Lange geführt.

Europa stehen Wahlen bevor. Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Herausforderungen der kommenden Jahre?

Das Bewusstsein für den Wert von Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechte wieder zu stärken, ist die zentrale Aufgabe angesichts von wachsendem Nationalismus und Rechtspopulismus. Extreme Entwicklungen wie beim Brexit oder in Ungarn müssen alle Alarmglocken läuten lassen. Die zentralen Errungenschaften des europäischen Projektes dürfen nicht untergehen, über die konkreten Instrumente können wir trefflich streiten.

Was sind die konkreten Ziele der Sozialdemokraten auf europäischer Ebene und wie wollen Sie diese realisieren?

Ein Nährboden für Rechtspopulismus ist die reale oder die gefühlte Unsicherheit in einer globalisierten Welt. Viele haben Zukunftsängste. Wir Sozialdemokrat_innen müssen wieder Sicherheit in die Lebensperspektive und die Lebensentwürfe der Menschen bringen. Das bedeutet natürlich, die sozialen Zerwürfnisse anzugehen, Lohndumping zu bekämpfen, Rahmen für ausreichende Mindestlöhne, vernünftige Arbeitsverträge, Soziale Sicherheit für alle zu schaffen. Sicherheit vor organisierter Kriminalität, wirtschaftliche Reformen und globale Verantwortung für faire und sichere Beziehungen zu anderen Ländern gehören auch dazu.

Welche Bedeutung messen Sie dieser Wahl bei?

Diese Wahl ist eine Entscheidungswahl. Wollen wir das erfolgreiche Schiff Europa wieder auf Kurs bringen, oder überlassen wir es zur Verschrottung den Nationalisten und Populisten?

In vielen Mitgliedstaaten der EU gewinnen Rechtspopulisten und Rechtsextremisten immer mehr an Zuspruch. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?

Wie gesagt, wir müssen die EU-Politik neu ausrichten, um den Nährboden trockenzulegen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Menschen in der Mitte der Gesellschaft Botschaften der Rechtspopulisten hoffähig machen. Wir müssen die unlauteren Social-Media-Aktivitäten anpacken und viel stärker die Grundwerte betonen. Keinen Millimeter nachgeben – das ist die Devise. Diese Anstrengungen gilt es, in allen Ländern zu leisten. Zurzeit gibt es keine vom Virus des Rechtspopulismus gefeiten Inseln.

Steve Bannon hat angekündigt, die Rechtspopulisten in Europa im Wahlkampf zu unterstützen. Welchen Einfluss kann er tatsächlich nehmen?

Das müssen wir sehr genau überwachen. Er wird die Rechtspopulisten stärker organisieren und versuchen, die unsauberen Methoden aus den USA, von Cambridge Analytica, zu europäisieren.

Die EU-Kommission hat bereits vor Cyberattacken und gezielten Kampagnen im Internet vor der Wahl 2019 gewarnt. Wie schätzen Sie diese Gefahr ein?

Cyberattacken und Fakenews, Meinungsmache durch Trolle und Bots sind eine erhebliche Gefahr, hier müssen wir stärker eingreifen, gerade weil die Informationsgewinnung sich bei vielen Menschen sehr geändert hat. Wir müssen genauso wie im TV oder bei den Printmedien Verlässlichkeit organisieren.

Seit 1979 ist die Wahlbeteiligung bei den Europawahlen kontinuierlich gesunken. Wie können junge Wähler_innen wieder motiviert und mobilisiert werden?

Bei der letzten EP-Wahl waren es bei den Jugendlichen nur 25%. Europa ist nicht abstrakt, sondern gestaltet die Lebenswirklichkeit und Zukunft aller Menschen, das muss ganz konkret spürbar werden.

Die Flüchtlingspolitik ist zurzeit in allen Mitgliedstaaten das dominierende Thema in der Politik. Welchen Einfluss wird sie auf die kommende Wahl haben?

Migration ist eine europäische Frage und Herausforderung. Bei einigen Mitgliedstaaten zeigt sich eine Krise in der Politik, diese Aufgabe solidarisch anzugehen. Deswegen werden wir unsere Lösungen, Reform der Zuständigkeiten, Lastenausgleich, menschenwürdige Grenzsicherung, gemeinsame Standards weiter nach vorne stellen und Regierungen, wie die in Ungarn, die eine europäische Antwort verhindern, an den Pranger stellen. Nebenbei, es ist ein Skandal, dass die ungarische Regierung, Herr Orban und seine Fides-Partei, immer noch mit der CDU/CSU in einer Fraktion arbeiten und dort Deckung bekommen. Wir werden aber auch viel stärker die Fluchtursachen anpacken müssen. Darüber hinaus brauchen wir faire Handelsbeziehungen und mehr Wertschöpfung in den afrikanischen Ländern. Dies erfordert mehr europäisches Engagement, Dialog und Ressourcen.

Was ist Ihre persönliche Vision für Europa?

Da schließe ich mich dem Beschluss des ersten Parteitages der SPD nach dem 2. Weltkrieg im Mai 1946 in Hannover an, auch wenn wir heute vom sozialen Europa sprechen würden: So wie die Sozialisten aller Länder für die Unabhängigkeit ihres Landes eintreten, so tut es auch die deutsche Sozialdemokratie. Aber sie weiß, dass die Periode der uneingeschränkten Souveränität der Einzelstaaten vorüber ist. Die deutsche Sozialdemokratie erstrebt die Vereinigten Staaten von Europa, eine demokratische und sozialistische Föderation europäischer Staaten. Sie will ein sozialistisches Deutschland in einem sozialistischen Europa. Nur so kann Europa zur Solidarität mit den Völkern aller Kontinente gelangen. Die Sozialdemokratie steht in dem gemeinsamen Kampf der Sozialisten aller Länder gegen jede Form der Ausbeutung, des Imperialismus und des Faschismus, der Reaktion und des hegemonialen Nationalismus. Sie ist die große geschichtsbildende Kraft, die Frieden und Freiheit für alle Völker sichern kann.

Wenn Sie einen Wunsch mit Blick auf die Europawahlen frei hätten. Was würden Sie sich wünschen?

Eine hohe Wahlbeteiligung, gerade bei Jugendlichen und keine Rechtspopulisten, Nationalisten und Neofaschisten im Friedensparlament.