Wenn Brasilien die Umwelt dem Agrarsektor opfert, darf es kein Abkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Mercosur geben. Von Bernd Lange

Die EU will durch weitreichende Handelsverträge dem Protektionismus Donald Trumps die Stirn bieten. Allerdings kann nur eine faire Handelspolitik eine gerechte Globalisierung garantieren. Die weltweite Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards muss daher gewährleistet sein. Das gilt selbstverständlich auch für das derzeit verhandelte Abkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Integrationsbündnis Mercosur, dem Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay angehören.

Die Verhandlungen zwischen der EU und dem Mercosur sind eine scheinbar unendliche Geschichte. Vor mehr als 20 Jahren einigten sich beide regionalen Blöcke darauf, ein sehr ehrgeiziges Assoziierungsabkommen mit drei Säulen auszuhandeln: politischer Dialog, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Handel. Angesichts der starken wirtschaftlichen und kulturellen Verbindungen zwischen beiden Kontinenten, so die vorherrschende Meinung, könnte dieses Abkommen nicht nur der EU und den Mercosur-Ländern erhebliche wirtschaftliche Vorteile bringen. Es könnte auch die geopolitischen Beziehungen der EU zum südamerikanischen Kontinent stärken.

Von Anfang an war jedoch klar, dass die Verhandlungen auf massive Hindernisse stoßen würden. Denn obwohl der Mercosur bereits 1991 als Zollunion gegründet wurde, ist der Prozess der wirtschaftlichen Integration innerhalb des Mercosur unvollendet und mit vielen Mängeln behaftet. Infolgedessen haben die Mitgliedstaaten auch heute noch erhebliche Schwierigkeiten, als Block zu verhandeln. Außerdem haben innenpolitische Probleme innerhalb des Blocks nicht zu einem Gefühl der Einheit beigetragen. Paraguay wurde zwischen 2012 und 2014 vom Mercosur ausgeschlossen. Venezuela wurde 2012 Mitglied, blieb dies aber nur für vier Jahre.

Das Abkommen mit dem Mercosur wäre das größte, das die EU jemals vereinbart hat.

Die politischen Probleme und die mangelnde Einigkeit innerhalb des Mercosur waren in der Vergangenheit allerdings nicht das zentrale Hindernis für die Verhandlungen mit der EU. Viele Beobachter der Verhandlungen argumentieren, dass die Aufnahme eines ehrgeizigen Kapitels über die Landwirtschaft für die EU im Laufe der Jahre sehr problematisch war. Die Mercosur-Länder sind wichtige Exporteure verschiedener landwirtschaftlicher Produkte, wie Rindfleisch, Geflügel, Zucker, Reis oder Orangensaft, die für europäische Landwirte von kritischer Bedeutung sind. Ungeachtet dessen aber weckte Ende des vergangenen Jahres die EU-Kommission Hoffnungen auf einen baldigen Abschluss der Verhandlungen. Das Abkommen mit dem Mercosur wäre das größte, das die EU jemals vereinbart hat. Die Summe der abgebauten Zölle könnte das Vierfache der beim jüngsten Abkommen mit Japan betroffenen Zölle erreichen.

All diese Erwägungen werden jedoch seit kurzer Zeit durch einen möglicherweise entscheidenden Faktor in den Hintergrund gedrängt: die Wahl von Jair Bolsonaro zum neuen Präsidenten Brasiliens. Jair Bolsonaro war und ist für die europäischen Staats- und Regierungschefs auf vielen Ebenen umstritten. Nach seiner Wahl mithilfe einer die Gesellschaft spaltenden und populistischen Plattform, die sich auch auf rechtsextreme Werte stützt, hat Bolsonaro wichtige Aussagen über einen möglichen Rückzug Brasiliens aus dem Pariser Klimaabkommen gemacht. Zwar bleibt abzuwarten, ob und wann dies geschehen wird. Doch unabhängig von dieser Frage schlug Bolsonaro zu Beginn seiner Amtszeit vor, das Landwirtschaftsministerium und das Umweltministerium zusammenzulegen. Ziel ist es, den Einfluss des Agrarsektors auf Umweltentscheidungen zu erhöhen. Nach innenpolitischem Druck verzichtete er auf diese Fusion, verlagerte aber wichtige Aufgabenbereiche vom Umweltministerium auf das Landwirtschaftsministerium, darunter die Bewirtschaftung der Wälder und Wasserreserven Brasiliens. Es steht zu befürchten, dass die Agrarlobby nun Entscheidungsprozesse direkt beeinflussen und die Rodung des Regenwaldes vorantreiben wird.

Dies steht in einem krassen Gegensatz zur Entwicklung der europäischen Handelspolitik in den vergangenen Jahren. Denn in der Zwischenzeit sind die Handelsabkommen der Europäischen Union immer umfassender geworden, vor allem in Bezug auf Handel und nachhaltige Entwicklung. Leitmotiv der EU-Handelspolitik ist eine „wertegeleitete Handelspolitik“. Diese beinhaltet den Respekt für Menschenrechte genauso wie eine Stärkung von Arbeitnehmerrechten und die Umsetzung von internationalen Übereinkommen zum Umweltschutz. Folgerichtig enthalten die jüngsten Abkommen mit Kanada und Japan ehrgeizige Bestimmungen zur Einhaltung von internationalen Arbeitnehmerstandards und Umweltabkommen, darunter prominent das Pariser Klimaabkommen.

Das Europäische Parlament wird einem Abkommen, das keine ehrgeizigen Bestimmungen zur Bekämpfung des Klimawandels enthält, nicht zustimmen.

Das Europäische Parlament war eine der treibenden Kräfte hinter dem Paradigmenwechsel in der Handelspolitik der EU. Das EP nimmt zudem durch seine Funktion als „demokratisches Gewissen“ dieses vergemeinschafteten Politikbereichs eine zentrale Rolle in der Überwachung der Einhaltung europäischer Werte ein. Und durch die Möglichkeit, jedes Handelsabkommen am Ende des Ratifizierungsprozesses abzulehnen, sind neben der Kommission auch Drittstaaten gut beraten, auf die Forderungen und Erwartungen des EPs einzugehen.

In einem Bereich hat sich das Europäische Parlament sehr klar positioniert: In seinem Bericht über die Klimadiplomatie der EU vom Juli 2018 wird klar und deutlich darauf hingewiesen, dass die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens eine Voraussetzung für den Abschluss eines Handelsabkommens zwischen der EU und Drittländern sein muss. Demnach ist klar, dass das Europäische Parlament einem Abkommen, das keine ehrgeizigen Bestimmungen zur Bekämpfung des Klimawandels enthält, nicht zustimmen wird. Das ist absolut richtig, denn ansonsten würden wir die führende Rolle der EU bei der Bekämpfung des Klimawandels untergraben und einen Grundpfeiler unserer wertebasierten Handelspolitik einreißen.

Den Widerspruch, der sich zurzeit in den Mercosur-Verhandlungen auftut, wird sich nur schwer lösen lassen. Denn sollte die Regierung von Bolsonaro weiterhin eine Linie verfolgen, die den brasilianischen Agrarsektor auf Kosten der Umwelt begünstigt, so schafft sie triftige Gründe dafür, dass das Europäische Parlament ein Abkommen mit dem Mercosur nur ablehnen kann.