Gastbeitrag von Tobias Hassebrock - Organisator von Pulse of Europe in Hannover

Seit Januar dieses Jahres demonstrieren jeden Sonntag an unterschiedlichen Orten Europas tausende Menschen für die europäische Integration und den Erhalt der EU. Am Sonntag den 07.05.2017 waren es schon mehr als 35.000 Menschen in 120 Städten 18 verschiedener europäischer Staaten, die unter dem Motto „Pule of Europe“, Pulsschlag Europas also, auf die Straße gingen. Was passiert auf diesen Zusammenkünften, welche Idee steht hinter den Demonstrationen und was motiviert Organisatoren und Teilnehmer?

Die Idee zu den proeuropäischen Aktionen geht auf die Initiative der Frankfurter Anwälte Daniel und Sabine Röder zurück. Nach den Schocks, die der Brexit und die Wahl Donald Trumps hervorriefen, warb das Ehepaar im November 2016 zunächst in seinem Freundeskreis für sein Anliegen, vor den nationalen Wahlen in den Niederlanden und Frankreich den nationalistischen und zentrifugalen Kräften in Europa etwas entgegenzusetzen. Ziel sollte sein, Europa und die EU wieder mit positiven Emotionen zu besetzen und der ihrer Meinung nach schweigenden Mehrheit der Europäerinnen und Europäer eine hörbare Stimme zu geben. Am Ende der Überlegungen standen seit Januar zunächst in Frankfurt sonntägliche Demonstrationen, die sich seither auf immer mehr Städte in Europa ausgeweitet haben.

Grundkonsens der Demonstrierenden ist dabei, dass die Europäische Union ein einmaliges, unbedingt erhaltenswertes Projekt ist, das seinen Bürgerinnen und Bürgern nicht nur Wohlstand, Reisefreiheit und Grundrechte garantiert, die wir alle als Selbstverständlichkeiten erachten, sondern vor allem mit der längsten Friedensperiode in Europa verbunden ist. Kritik an der aktuellen Verfasstheit der EU bleibt indes nicht außen vor. Im Gegenteil. Es geht der Bewegung in besonderem Maße darum, die parteipolitischen Akteure dazu aufzufordern die Defizite der EU anzugehen und viel mehr Mut und Energie in der Debatte um Reformen des bestehenden Systems zu zeigen. Mut und Zuversicht, Lust auf Neues, Reformen und das Ende der Angst vor Populisten steht im Vordergrund bei Pulse of Europe.

Dabei versteht Pulse of Europe sich selbst als überparteiliche und überkonfessionelle Initiative und hat keine konkreten Forderungen für eine „Wunsch-EU“ aufgestellt.

Die Veranstaltungen in den einzelnen Städten werden von regionalen Teams autonom organisiert und durchgeführt. Mit den Initiatoren in Frankfurt und den Teams der anderen Orte sind sie in einem informellen Netzwerk verbunden. Finanzmittel für Tontechnik, Flyer oder EU-Fähnchen werden ausschließlich durch Privatspenden und in der Regel direkt auf den Veranstaltungen durch die lokalen Gruppen eingeworben.

Die einzelnen Städte habe mittlerweile jeweils eigne, unterschiedliche Rituale entwickelt, die durch einmalige, nicht selten in vielen Städten gleichzeitig durchgeführte Aktionen ergänzt werden. Zum festen Programm der meisten Städte gehören einleitende Ansprachen von Organisatoren oder Gastrednern welche auf die Grundidee von Pulse of Europe hinweisen und die europapolitische Lage kommentieren. Anschließend folgt meistens ein offenes Mikrofon, das Teilnehmern, die Möglichkeit gibt, eigene Gefühle, Erlebnisse und Gedanken zum Thema Europa und EU zu teilen. An Kritik einzelner europäischer Politiken, allem voran der Grenz- und Flüchtlingspolitik und der Austeritätspolitik sparen die Redner bei dieser Gelegenheit nicht. Häufiger noch sind es aber persönliche biographische Beweggründe für ihr Kommen wie Erinnerungen an die Teilung Europas oder die Leiden des Zweiten Weltkrieges, von denen die Redner sprechen. Immer wieder ist auch das stolze Bekenntnis zu hören, erstmals nicht gegen, sondern für etwas zu demonstrieren. Hinzu kommen wöchentliche Sonderaktionen wie etwa Schilderperformances vor den Wahlen in den Niederlanden und Frankreich, mit denen den Wählenden Nachbarn „blijf bij ons“ und „restons ensemble“ zugerufen wird, indem die Fotos der Performances in den sozialen Netzwerken verbreitet werden. Fester Bestandteil der Demonstrationen sind nicht zuletzt das gemeinschaftliche Singen der „Ode an die Freude“, oft mit instrumentaler Livebegleitung. Das emotionale Highlight zum Schluss bildet eine Menschenkette, die den europäischen Zusammenhalt und die ursprüngliche Friedensidee symbolisiert.